Von Profi zu Profi

Eigentlich wollen Elternhaus und Schule doch dasselbe: das Wohl der Kinder. Aber warum klappt dann die Zusammenarbeit in der Praxis so schlecht?

Allen Beschwörungen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in kultusministeriellen Festreden und Schulprogrammen zum Trotz: Die Realität in den Schulen ist, dass die meisten Lehrerinnen und Lehrer die Eltern als Widersacher und Kritiker empfinden; nur wenige sehen sie als Partner. Und umgekehrt äußern sich viele Mütter und Väter Lehrern gegenüber in einer Art und Weise, die eine Zusammenarbeit eher erschwert. Allein mit eigenen schlechten Schul-Erinnerungen von Eltern und pädagogischen Ungeschicklichkeiten von einzelnen Lehrern und Schulen insgesamt lässt sich kaum erklären, warum die Zusammenarbeit unter solchen Reibungsverlusten leidet. Es muss „tiefere“ Gründe geben.

1. Die falschen Fronten - Lehrer büßen für andere

Wie kommt es, dass – wie es ein schwedischer Schulforscher formulierte – so viele Kinder in Deutschland das Gefühl haben, dass „das Leben“ erst nach der Schule beginnt? „In der Zeit, in der du zur Schule gehst, verpasst du das Leben.“ In Schweden dagegen herrsche das umgekehrte Gefühl vor: „Wenn du nicht zur Schule gehst, dann verpasst du etwas.“ Die Schulskepsis mancher Eltern beruht auf dem Eindruck, dass in unseren Schulen kinderunfreundliche Rahmenbedingungen herrschen. Es ist den Eltern nicht zu verdenken, dass sie diese Bedingungen kritisieren – und zwar den Lehrern gegenüber, die ja ihre ersten Ansprechpartner sind. Das ist allerdings eine schlechte Startbedingung für Kooperation und Partnerschaft. Denn viele Lehrer glauben, sie müssten dann um Verständnis für die Schule werben. Aber selbst wenn sie den Vorwurf des ewigen Jammerns befürchten: Sie brauchen nicht die suboptimalen Bedingungen zu verteidigen, unter denen sie selbst, ihre Arbeit und die Schule insgesamt zu leiden haben.
Eine erste Konsequenz wäre also, die strukturellen Rahmenbedingungen von Schule nicht außer Acht zu lassen und sich klar zu machen, dass die Lehrer in diesen Fragen an der Seite der Eltern stehen.

2. Selber jahrelang zur Schule gegangen - Expertentum verdient Respekt

Wer an Gartenzäunen und Stammtischen Gesprächen über die Schule zuhört, der gewinnt schnell den Eindruck: Mit ihrem Expertentum ergeht es Lehrern wie dem Fußballbundestrainer: Jeder weiß irgendwie, wie Fußball „geht“, und äußert sich lauthals über die Unzulänglichkeit der Experten. Manche Eltern gehen insgeheim davon aus, dass es so schwierig doch nicht sein kann, Kindern die grundlegenden Kulturfertigkeiten zu vermitteln. Sie verkennen dabei die Komplexität in Sachen Lerntheorie, Didaktik, Diagnostik und individueller Förderung, die die Arbeit von Lehrern prägt. Sie sind akademisch ausgebildete Profis in Sachen Didaktik und Stoffvermittlung – und nicht nur das: Auf dem Hintergrund veränderter familiärer Bedingungen sind auch die Anforderungen an sonstige pädagogische Leistungen von Lehrern erheblich gestiegen. Sie sind gefordert, junge Menschen in ihren Individuationsprozessen zu begleiten, sie auf ein mündiges Leben in der Gesellschaft von heute und morgen vorzubereiten. Das Expertentum von Lehrern verdient Respekt und Anerkennung. Sie eröffnen Kindern Lernchancen, die sie zu Hause nicht haben: sich in einer großen Gruppe bewegen und behaupten zu können, Gleichaltrige mit den unterschiedlichsten Verhaltensweisen und Hintergründen kennen und hoffentlich schätzen zu lernen, auf Inhalte zu stoßen, die neugierig machen …

3. Der ungeliebte Dienst am Kunden - Kopfnoten statt Dienstleistung

Das Expertentum der Lehrer anzuerkennen bedeutet aber nicht, dass auf der einen Seite des Tisches die Profis (Lehrer) und auf der anderen die Laien (Eltern) sitzen. Vielmehr sind Eltern gleichfalls Experten, nämlich was (familiäre) Lebenskontexte und Erfahrungen sowie Ängste und Sehnsüchte ihrer Kinder angeht. Und sie können die Auswirkungen von schulischem Handeln auf die Kinder und Jugendlichen einschätzen. Diese Experten müsste die Schule in einem seriösen Sinne als „Kunden“ begreifen, die für ihre Kinder eine „Dienst-Leistung“ wünschen.
Die deutsche Schule hat allerdings ein Problem damit, sich als Förderer und Begleiter ihrer Schüler zu verstehen. Kopfnoten in der Grundschule, Noten ab dem zweiten Schuljahr, verbindliche Grundschulgutachten, zentrale Prüfungen und Tests sowie die Verdichtung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre sprechen eine fatale Sprache: Diese Schule leidet unter der Unkultur, lieber zu selektieren als zu fördern, eher an Defiziten als an Ressourcen orientiert zu sein. Sie will eher Kompetenzträger entlassen als mündige junge Menschen. Sie leidet unter einer technokratisch-administrativen Grundhaltung, aus der heraus Schule geplant und verwaltet wird. Das Lehrer-Beamtentum ist nur ein Ausdruck davon.

4. Geprägt von der Gesellschaft - Gemeinsam in die Zukunftswerkstatt

Sicher wäre es wünschenswert,

  • … wenn alle Eltern ihre Kinder emotional und sozial optimal unterstützen könnten,
  • … wenn überehrgeizige Eltern ihren Nachwuchs neben dem Tennisverein, der Musikschule und den Messdienern nicht auch noch in den Schachklub lotsen würden,
  • … wenn Kinder keine zwei Taschengeldjobs annehmen müssten, damit sie in der Klasse mit denen mithalten können, denen die Eltern per finanzieller Zuwendung alle Möglichkeiten eröffnen (was natürlich ebenso wenig wünschenswert ist).

Aber die Lebensumstände sind nun einmal anders, da helfen keine Appelle. Schüler bringen die Probleme mit ins Klassenzimmer und auf den Schulhof. Weil das so ist, sollte – wie in den skandinavischen Schulen – die multiprofessionelle Integration von Schulpsychologen, Sozialpädagogen und Gesundheitsarbeitern in den Schulbetrieb vorangetrieben werden. Außerdem ist es sicher wünschenswert, dass Eltern bei ihrem Engagement für den schulischen Erfolg ihrer Kinder nicht nur deren individuelles Fortkommen im Blick haben, sondern ihren Blick weiten und auf die Klasse und die Schule ausdehnen. Aber Eltern sind auch geprägt vom gesellschaftlichen Kampf um Chancen, bei dem es oft um das „Ich oder du?“ geht anstatt um das Beste für alle.

Was aber tun, damit die Zusammenarbeit von Lehrer und Eltern trotzdem gelingen kann? Eltern können im Prinzip wohlwollend über Schule und Lehrer reden; Lehrer und Eltern täten gut daran, sich wechselseitig die besten Absichten zu unterstellen und sich in Perspektivenübernahme zu üben. Dazu bedarf es des regelmäßigen Kontaktes und Austauschs. Elternsprechtage mit einem Gespräche-Takt von sechs oder acht Minuten können das nicht leisten. Sprechstunden und sicher auch das Telefon sind bessere Wege, deren Nutzung Lehrer mit den Eltern absprechen sollten. Thematische Elternabende über pädagogische Themen können das wechselseitige Know-how verbessern. Auch mit gemeinsamen pädagogischen Tagen (Lehrer, Eltern, Schüler) in Form von „Zukunftswerkstätten“ haben viele Schulen ermutigende Erfahrungen gemacht.

Die Umstände, unter denen Schule hierzulande funktioniert, mögen sich dadurch nicht unmittelbar ändern lassen. Aber das Leiden daran zu teilen, bringt die Partner ins gemeinsame Boot und lässt sie eine gemeinsame Perspektive einnehmen, zum Wohl der Kinder und Jugendlichen. Und die Praxis zeigt: Die Zahl der Gutwilligen auf beiden Seiten ist viel größer als gemeinhin vermutet.

Michael Sandkamp